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Ein Code allein macht noch kein Funktionssystem aus. Erst mit der „Zusatzsemantik“ von Programmen kann sich ein System an die Umwelt anpassen.
Binäre Codes wie die Unterscheidung von Recht und Unrecht sind nicht einfach nur Prinzipien. Sie sind die leitende Unterscheidung, an der sich alle Operationen des Systems orientieren (auch Leitdifferenz genannt). Dennoch reicht ein Code nicht aus, um das System zu reproduzieren. Der Grund ist, dass Codes nicht variabel sind. Sie stehen fest. Weder zeitlich noch sachlich können sie an die Umwelt „angepasst“ werden.
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Wie unterscheiden sich unmarked state und unmarked space? Das veranschaulicht die Recht/Unrecht-Differenz: Recht und Unrecht werden voneinander unterschieden. Beide Seiten der Unterscheidung werden jeweils als Zustand markiert (marked state).

Diese Unterscheidung wird dann aber nicht als Einheit des Unterschiedenen in die Umwelt eingeführt, sondern als Unterscheidung. Die Umwelt ist begrifflich gar nicht Teil der Unterscheidung, sie ist das ausgeschlossene Dritte. Weder ihre räumliche Existenz noch ihr Zustand werden mit dem Code mitbezeichnet. Sie existiert natürlich trotzdem, aber eben nur als unmarked space. Sie ist der nicht bezeichnete Raum, in den hinein die Unterscheidung als Unterscheidung gezogen wird, ohne den Raum „mitzuerwähnen“.
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Auf praktischer Ebene ist der binäre Code Recht/Unrecht einfach zu handhaben. Der eine Wert negiert den anderen: Es gibt kein ausgeschlossenes Drittes, nur entweder/oder. Der Code kann nur als Unterscheidung praktiziert werden.
Dahinter stehen jedoch komplizierte logische Strukturen, die in der Theorie sozialer Systeme als re-entry bezeichnet werden. Der mathematische Begriff geht auf George Spencer Brown („Laws of Form“) zurück und bezeichnet den Wiedereintritt einer Form in die Form.
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Die Regelung von Schuldverhältnissen (obligatio: Verpflichtung) entwickelte sich im Römischen Zivilrecht zu einer der wichtigsten Kategorien. Die Entstehungsanlässe dürften Delikte und Verträge gewesen sein, die als Unrecht empfunden wurden. Folglich bedurfte es einer klaren Trennung zwischen Recht und Unrecht. Einmal vorhanden, wurde diese scharfe Unterscheidung im Lauf der Geschichte in Europa auf immer mehr Fragen angewendet. Die ursprüngliche Paradoxie des Rechts jedoch blitzte immer wieder durch. Sie konnte erst durch Konditionalprogramme aufgelöst werden.
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Start des 4. Kapitels über Codierung und Programmierung. Das 3. Kapitel hatte die soziale Funktion des Rechts herausgearbeitet. Diese besteht in einer kontrafaktischen Stabilisierung von normativen Verhaltenserwartungen. Nun geht es nun um die Frage: Woran orientiert sich das Rechtssystem bei seiner Entscheidungsfindung, ob etwas Recht oder Unrecht ist?
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So wenig wie Verhaltenssteuerung die soziale Funktion des Rechts ist, verhält es sich mit der Konfliktregulierung: Beides ist nur eine Leistung. Das Recht kann ohnehin nur rechtlich konstruierbare Konflikte um das Recht lösen. Psychische Motive oder die Frage, wer einen Streit angefangen hat, bevor er zum Rechtsstreit wurde, bleiben unberücksichtigt. Dass ein Konflikt zum Rechtskonflikt wird, ist die Ausnahme.
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Die Frage, welche Funktion das Recht für die Gesellschaft hat, führt zu dem allgemeinen Problem, dass abstrakte Begriffe häufig unanalysiert übernommen werden, was zu falschen Schlussfolgerungen führt. Der Begriff der Funktion wird als bekannt vorausgesetzt, anstatt ihn zu hinterfragen und zu definieren.
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Welche Konsequenzen hat es, dass das Recht seine Funktion in normativer Form ausübt? Die wichtigste ist: Recht und Politik differenzierten sich und wurden autonome Funktionssysteme. Da sie jedoch aufeinander angewiesen sind, stellt sich die Frage, inwiefern die Systeme „zusammenhängen“. Insbesondere der Begriff Rechtsstaat verwirrt hier. Er verkettet in der Tat Recht mit Politik.