Kap. 7: Die Stellung der Gerichte im Rechtssystem

Episode Nr.
68

Start des 7. Kapitels über „Die Stellung der Gerichte im Rechtssystem“. Im Rechtssystem bilden die Gerichte ein Teilsystem, auch Subsystem genannt. Subsysteme gehen auf interne Differenzierungen des Systems zurück. Welche Formen von interner Differenzierung es gibt, ist eine der ersten Fragen dieses Kapitels.

Zu Beginn stellt Luhmann die Hypothese auf, dass die Ausdifferenzierung von Kommunikationssystemen eine gleichzeitig verlaufende interne Differenzierung erfordert.

Ein umfassendes Rechtssystem kann demnach nur entstehen, wenn die Kommunikation über Recht anfängt, begriffliche Unterscheidungen einzuführen, z.B. zwischen Rechtsprechung, Rechtsetzung und Rechtsbeistand. Die Kommunikation differenziert sich aus. Dass sie Unterschiede erkennt und bezeichnet, dürfte eine unverzichtbare Voraussetzung dafür sein, dass sich aus der allgemeinen gesellschaftlichen Kommunikation ein Kommunikationssystem nur für Recht herausschälen konnte. Kurz: ohne interne Differenzierung kein System.

Im Folgenden soll geklärt werden, welche internen Differenzierungsformen es gibt. Eine Form ist eine Unterscheidung. Die „Form der internen Differenzierung“ ist also die Art und Weise, wie unterschieden wird, auf welcher Grundlage. Dazu zählt die Unterscheidung auf der Basis von Gleichheit bzw. von Ungleichheit.

Wenn eine interne Differenzierung auf der Basis von Gleichheit erfolgt, sind die damit voneinander unterschiedenen Teilsysteme untereinander gleichwertig. So war die segmentäre (archaisch-tribale) Gesellschaft durch Familien, Wohngemeinschaften und Stämme differenziert, die untereinander gleichrangig waren.

Erfolgt die interne Differenzierung auf der Basis von Ungleichheit, drückt sich das Verhältnis der damit für ungleich erklärten Teilsysteme meist durch Rangordnung aus. Dies war in der stratifizierten (geschichteten) Gesellschaft der Fall. Stratifizierte Gesellschaften verfügten über Schrift und waren Hochkulturen, sie hatten höhere Komplexität aufgebaut. So war die Adelsgesellschaft (Ständegesellschaft) in Adel/Volk geteilt. Ein ontologisches (göttliches) Weltbild begründete die Ungleichheit qua Geburt. Andere Beispiele für Ungleichheit als Begründungsfigur sind Sklavenhaltergesellschaften oder das indische Kastensystem.

Verschiedene Formen der internen Differenzierung schließen sich gegenseitig nicht aus. Sie können in Systemen gleichzeitig vorkommen, die Frage ist dann nur, welche grundlegende Form dominiert. So dominierte in der Adelsgesellschaft die Ungleichheit, die Gesellschaft war grundsätzlich zweigeteilt. Innerhalb des jeweiligen Standes war man aber gleichrangig.

Eine dritte Differenzierungsform ist funktionale Differenzierung, auf der die moderne Gesellschaft basiert. Gesellschaftlich unverzichtbare Funktionen wie Recht, Politik, Wirtschaft oder Wissenschaft werden durch Funktionssysteme ausgeübt, die sich dafür ausdifferenziert haben – durch, wie gesagt, gleichzeitig verlaufende interne Differenzierung.

Funktionale Differenzierung erfolgt anhand der Unterscheidung gesellschaftlicher Funktionen. Wirtschaft ist nicht Recht, Wissenschaft ist nicht das Gleiche wie Politik. Die so entstandenen Funktionssysteme sind ungleich, aber untereinander gleichrangig. Man kann sie nicht hierarchisch ordnen. Keine Funktion ist „wichtiger“ als andere, alle sind unverzichtbar.

Durch interne Differenzierung, auf welcher Basis auch immer, können Systeme dann auch Subsysteme in sich ausbilden. Ein solches Subsystem sind die Gerichte im Rechtssystem.

Darüber hinaus gibt es die System-Umwelt-Differenz zu beachten. Das Rechtssystem operiert innerhalb der Gesellschaft. Die Gesellschaft ist die Gesamtheit aller Kommunikationen. Für das Rechtssystem gehört sie zur Umwelt. Die Kommunikation in dieser Umwelt ist irrelevant (es sei denn, sie wird rechtsrelevant). Anhand solcher Selbstabgrenzungen gegenüber ihrer Umwelt können sich Systeme überhaupt erst konstituieren. Sie ziehen eine Grenze zwischen ihrer eigenen, spezifischen Kommunikation und dem „Rest“.

Dass es verschiedene Systeme gibt (Gesellschaftssystem, Funktionssysteme, Teilsysteme) wirft die Frage auf, in welchen Verhältnissen Systeme zueinanderstehen und wie ihre System-zu-System-Beziehungen zum Ausdruck kommen.

Indem ein System Subsysteme bildet, schafft es in sich selbst eine Ordnung, die diverse Systembeziehungen zum Ausdruck bringt. Z.B.: die Beziehung des Gerichtssystems zum umfassenden Gesamtsystem des Rechts. Die Beziehungen mehrerer rechtlicher Subsysteme untereinander, etwa zwischen Gerichten, Anwaltschaft und politischer Gesetzgebung. Die Beziehungen des Rechtssystems inklusive seinen Teilsystemen zur Gesellschaft und zu anderen Funktionssystemen; man denke etwa an den Begriff der „Rechtsgeltung“, über die sich kein System und kein Individuum hinwegsetzen darf.

Im Folgenden soll untersucht werden, anhand welcher Differenzierungsform das Rechtssystem ein Subsystem für Gerichte ausdifferenziert hat. Die klassische Einteilung des Rechtsstoffes in Rechtsgebiete wie Richterrecht/Gesetzesrecht würde hierzu keinen Aufschluss geben. Sie wird bei dieser Fragestellung darum außer Acht gelassen.

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